Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind weit mehr als eine interessante Quelle für die fachspezifische Auseinandersetzung mit der Geschichte. Sie geben der Erinnerungskultur eine Stimme und ein Gesicht. Sie lassen das Damals zum Heute werden, damit das Morgen nicht den Mut und die Mündigkeit für die Menschlichkeit verliert. Eine solche Mutmacherin ist Liesl Nitsch-Spira. Sie kam auf Organisation von Geschichteprofessor Jürgen Nemec im Rahmen des Zeitzeugenprogramms „ERINNERN:AT“ am Freitag, dem 6. Juni 2025, an das Konrad Lorenz Gymnasium. Dabei nahm sie sich knapp mehr als zwei Stunden Zeit, um mit Schülerinnen und Schülern der 7. Klassen über ihr Leben, über die NS-Zeit, über den Kampf für Demokratie, gegen Faschismus und Unmenschlichkeit zu sprechen.
Familie im Kampf gegen den Faschismus
Die 81-jährige Zeitzeugin wurde 1944 als Liesl Spira in Glasgow geboren. Sie ist die Tochter jüdischer Flüchtlinge aus Österreich, die dem Holocaust entkommen konnten. Ihr Vater Leopold Spira engagierte sich bereits im Austrofaschismus gegen die Zerstörung der demokratischen Republik und wurde dafür als politischer Häftling inhaftiert. Nach der Annexion Österreichs durch das nationalsozialistische Deutschland wurde er Teil der internationalen Brigaden Spaniens, also jener Freiwilligenverbände, die im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republik und gegen den von Franco angeführten Faschismus kämpften. Mit der allerletzten Gelegenheit gelang ihm die Überfahrt vom südfranzösischen Gurs, wo er zuvor eine Volkshochschule gegründet hatte, nach Großbritannien. Liesls Mutter Eva kam mit einem Kindertransport nach London.
Liesl Nitsch-Spira fesselte ihr junges, viele Fragen stellendes Publikum nicht nur mit hintergründigen gesellschaftskritischen Darstellungen, sondern auch mit persönlichen Erinnerungen. So erzählte sie, wie traumatisch die Luftangriffe der Nazis auf die britische Insel für sie waren: Fliegeralarm und Bombenterror verfolgten sie jahrzehntelang in ihren Träumen. Wie sehr die Erfahrung des Krieges und der Not zur Verbundenheit ihrer Generation führte, veranschaulichte die Zeitzeugin mit der Erzählung von einer lebenslangen Freundschaft, die strampelnd im Kinderwagen begann, den sie sich mit einem anderen Baby namens Herbert teilte: Trotz unterschiedlicher biografischer Wege pflegen beide bis heute ihre Freundschaft.
Antisemitismus nach 1945
1946 kehrte die Familie nach Wien zurück, wo Liesl insbesondere in der Volksschule antisemitischen Diskriminierungen ausgesetzt war, später das Gymnasium absolvierte und im sozialen Bereich arbeitete. Die Schwester der berühmten, im Jahr 2019 verstorbenen Fernsehjournalisten Elisabeth T. Spira berührte und beeindruckte die gut vorbereiteten Schülerinnen und Schüler nicht nur durch die Mitnahme auf eine
packende Reise durch die Zeitgeschichte, sondern auch durch ihr zivilgesellschaftliches Engagement für ein demokratisches Miteinander.